⭐️ Zeit des Vergessens 


Zeit des Vergessens

Langsam schlurft der alte Mann gebeugt und mit unsicheren Schritten die Straße entlang.

Viele der Menschen um ihn herum schütteln verständnislos den Kopf.

Manche rempeln ihn unachtsam an und schimpfen mehr oder weniger laut.

Zum Glück bekommt der alte Mann das nicht wirklich richtig mit.

Er lächelt,bleibt stehen und schaut sich alles immer wieder bedächtig an.

Dabei drückt er immer wieder die Hand der jüngeren Frau die ihn begleitet.

Im Gegensatz zu ihm hört sie all die Worte ,die über ihn urteilen ganz genau.

Ihr tut jedes gemeine Wort weh und mühsam unterdrückt sie die Worte , die sie den Leuten nur allzu gern an den Kopf werfen würde,wenn sie so unverschämt werden.

Doch sie schweigt.

Lächelt den alten Mann liebevoll an ,streicht ihm über die Hand und geht langsam und bedächtig mit ihm weiter die Straße entlang.

Versucht zu überhören, das Worte wie :

"Wenn man schon tagsüber trinkt ,sollte man auch zu Hause bleiben !!!"

oder...

"Alte Leute gehören in ein Heim und nicht mehr auf die Straße !!!"

fallen und die Leute kopfschüttelnd weiter eilen.

An einem Schnellimbiss bleibt der alte Mann stehen,

hebt seine Nase ...die mit den Jahren rot und runzelig geworden ist.

Seine Augen strahlen und mühsam formen seine Lippen die Worte während er leise flüstert :

"Ich hätte gern so Kartoffelstreifen und einen ...Du weißt schon.

Mit Salat und einen Spezi."

Abwartend und freudig wie ein kleines Kind schaut er die Frau an seiner Seite an.

Diese nickt, hakt ihn unter und gemeinsam betreten sie das schon recht volle Restaurant.

Mütter mit Kindern sitzen dort.

Auch ein paar Jugendliche und sogar der ein oder andere mit Anzug oder feinem Kostüm.

Die Jugendlichen kichern und frotzeln,als der Mann mit tapsigen Schritten zum Tresen geht und leise und langsam bestellt, was er essen möchte.

Sie nehmen keinerlei Rücksicht darauf ,ob der Mann und die Frau das mitbekommen.

Zum Glück ist die Bedienung hinter der Kasse einfühlsam genug und lässt ihm die Zeit die er braucht.

Auch wenn hinter ihm eine Mutter mit drei Kindern drängelt.

"Geht das auch was schneller hier.

Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit...müssen sie ihn das auch noch selber bestellen lassen.

Das dauert doch ewig !!!" raunzt sie die Begleiterin des alten Mannes an.

Doch diese bleibt erstaunlich ruhig , sagt kein Wort und hilft ihm, seine Sachen auf das Tablett zu legen.

Sanft nimmt sie ihm das volle Tablett aus seinen müden,alten Händen .

Freudig greift der alte Mann nach dem Getränk.

Er möchte es so gern selber tragen,doch es fällt ihm aus seinen zittrigen Händen und fällt mit einem lauten Knall zu Boden.

Augenblicklich wird es erst ruhig und dann sehr laut in dem Raum.

Viele lachen laut und gemein.

Die Frau hinter ihnen kreischt laut herum.

Die Jugendlichen feixen und die Anzugträger schütteln nur verständnislos ihre fein frisierten Haare.

Auch jetzt bleibt die Frau ruhig, während der Mann da steht und Tränen in den Augen hat.

"Ich wollte doch nur ..." .... stammelt er .

"Ich weiß....." erwidert die Frau. "....wir holen gleich ein neues Getränk.

Komm,setz Dich schon mal."

Liebevoll und die Blicke der anderen Gäste nicht beachtend setzt sie sich an den Tisch am Fenster ,nachdem sie den Stuhl für den alten Mann zurechtgerückt hat.

Die nette Frau von der Kasse bringt lächelnd einen neuen Spezi.

Legt eine Hand auf die Hand der Frau und sagt laut - in die Runde schauend :

"Das ist ein Geschenk des Hauses.

Wir freuen uns über jeden Gast !"

Dankbar lächelt die Frau und jetzt stehen ihr doch schon ein paar Tränen in den Augen.

Tapfer schluckt sie diese herunter und wickelt den Burger aus dem Papier um ihn dem alten Mann in die Hände zu geben.

Dieser beißt herzhaft in das belegte Brötchen.

Soße und Salat quellen aus dem Brötchen,fallen auf das Tablett .

Sein ganzer Mund ist voller Soße und ab und zu fällt ihm auch etwas herunter.

Er bemerkt es nicht.

Ist er doch glücklich ,seinen Hamburger zu essen.

Wieder Lachen und Tuscheln.

Kinder zeigen mit Fingern auf die Beiden, bevor die Mütter irgendetwas flüstern.

Doch all das stört die Frau nicht.

Sie öffnet ihre Tasche ,nimmt ein Paket Feuchttücher heraus und säubert sanft und sorgsam das Gesicht und den Bart des Mannes.

Wieder strahlt er und greift nach seinem Getränk.

Laut schlürfend saugt er an seinem Strohhalm und genießt den Ausblick auf die Straße.

Die ersten Gäste rufen bereits nach dem Geschäftsführer,

fühlen sich von dem alten Mann gestört.

Oder nur daran erinnert ,das jeder einmal alt wird !?

Widerwillig tritt der Geschäftsführer an den Tisch am Fenster und seltsam bedrückt murmelt er :

"Es haben sich Leute beschwert.

Darf ich sie zu dem Ecktisch in der Ecke begleiten !?"

Die Frau schüttelt den Kopf.

Sie steht auf , gibt dem alten Mann einen zarten Kuss auf die Stirn und fängt mit fester Stimme an zu reden :

"Sie alle sollten sich schämen.

Mein Vater leidet an Demenz.

Er lebt in seiner eigenen Welt , die doch auch die unsere ist !!!

Ich bin stolz und liebe meinen Vater und schäme mich für nichts .

Denn sein ganzes Leben war er für mich da und nun kann ich ihm einen Teil der Liebe zurückgeben, die er mein ganzes Leben für mich hatte.

Er hat sich nie für mich geschämt, egal was auch passierte.

Komm, Papa ....wir fahren jetzt nach Hause. "

Der alte Mann strahlt noch immer

und geht an der Hand seiner Tochter tapsend aus dem Restaurant indem jetzt keiner mehr lacht.

Es ist auf einmal sehr ruhig ,

der ein oder andere wischt sich eine Träne aus den Augen oder schweigt betreten.

Durch das Fenster kann man die Beiden langsam die Straße entlang gehen.

Immer wieder bleiben sie stehen und schauen sich Dinge an , die ihren Weg kreuzen.

Beide strahlen und sind froh , einander zu haben.

©️ Tanja Hoffmann 

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